Psychologische Perspektiven auf autonome Mobilität und Schutz ungeschützter Verkehrsteilnehmender

Die zukünftige Mobilität ist durch autonome und hochautomatisierte Fahrzeuge sowie deren Interaktion mit ungeschützten Verkehrsteilnehmenden geprägt. Dabei stehen psychologische Prozesse im Vordergrund, die Aspekte menschlicher Wahrnehmung, Kognition und Emotion ebenso einbeziehen wie soziale Fragen der Akzeptanz und des Vertrauens in neue Technologien. Vulnerable Road Users sind heute in vielen Regionen der Welt massiv von Unfallrisiken betroffen. Etwa die Hälfte aller im Straßenverkehr getöteten Personen zählt zu dieser Gruppe. Fehlende schützende Fahrzeugstrukturen und oft suboptimale Rahmenbedingungen führen zu schwerwiegenden Verletzungsfolgen. Gleichzeitig fördern wachsende urbane Räume und ein Umdenken in Richtung nachhaltiger Mobilität die Bedeutung von Fußgängern, Radfahrenden und anderen nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmenden.


Die Ausweitung moderner Assistenzsysteme, intelligenter Fahrzeugfronten und kommunikativer Schnittstellen zwischen Fahrzeugen und Menschen verspricht eine Verringerung von Unfallrisiken. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich Verkehrssicherheit nicht auf technologische Fragen verengt, sondern eng mit menschlichen Wahrnehmungs- und Kognitionsprozessen verknüpft ist. Untersuchungen zu selektiver Aufmerksamkeit zeigen, dass auch eindeutig sichtbare Objekte leicht übersehen werden können, wenn die kognitive Belastung hoch ist. Zu den psychologischen Phänomenen zählt das sogenannte „Schauen aber nicht Sehen“. Obwohl ein Fußgänger oder ein Radfahrender sich im Blickfeld befindet, fehlt mitunter die Verarbeitung dieser Information. Dies wird durch komplexe urbane Umgebungen noch verstärkt, in denen der Mensch auf zahllose Reize reagieren muss. Ablenkungen wie Smartphones oder andere mobile Endgeräte verschärfen dieses Problem. Betroffene Verkehrsbeteiligte befinden sich dann in einem Zustand reduzierter situativer Aufmerksamkeit. Diese Einschränkungen gelten nicht nur für Autofahrende, sondern ebenso für zu Fuß Gehende und Radfahrende, was zu einer symmetrischen Risikozunahme führt, die nur durch ganzheitliche verkehrspsychologische Konzepte adressiert werden kann.

Kognition und Emotion greifen im Straßenverkehr eng ineinander. Die Wahrnehmung von Risiken, die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten oder auch das Vertrauen in die Handlungen anderer Verkehrsteilnehmender sind häufig nicht rational im Sinne einer reinen Informationsverarbeitung, sondern auch affektgesteuert. Angst, Unsicherheit oder Frustration können die Kommunikation zwischen menschlichen Akteuren und hochautomatisierten Fahrzeugen beeinträchtigen. Gefahrenmomente entstehen, wenn etwa ein Radfahrender nicht erkennt, ob ein herannahendes automatisiertes Fahrzeug tatsächlich anhalten wird, oder wenn ein Fußgänger eine Interaktionsgeste der Fahrzeugfront falsch interpretiert. Vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise zentral, wie solche Fahrzeuge ihren Handlungsplan kommunizieren und für VRU im wahrsten Sinne begreifbar machen. Psychologisch relevante Fragen zur Emotionsregulation und Vertrauensbildung treffen hier auf technische Herausforderungen. Eine konsistente, transparente und leicht verständliche Signalgebung durch Licht, Projektionen oder symbolhafte Hinweise an der Fahrzeugfront kann hilfreich sein, doch bedarf es empirisch fundierter Erkenntnisse darüber, wie diese Signale kognitiv verarbeitet werden, welche Emotionen sie hervorrufen und wie sie die soziale Dynamik im Straßenraum beeinflussen. Das soziale Gefüge des Straßenverkehrs wird durch die Einführung hochautomatisierter Fahrzeuge nicht nur technisch, sondern auch kulturell transformiert. Akzeptanz, Vertrauen und geteilte Normen des Miteinanders stehen ebenso im Fokus wie die Frage, inwieweit vulnerable Gruppen, etwa sehr junge oder ältere Verkehrsteilnehmende, von den neuen Interaktionsformen profitieren oder benachteiligt werden.

Die Verkehrspsychologie liefert Ansätze, um menschliche Informationsverarbeitung, Urteilsbildung und Entscheidungsfindung im Kontext neuer Mobilitätsformen besser zu verstehen. Diese Erkenntnisse können helfen, Systemschnittstellen so zu gestalten, dass Unsicherheiten reduziert, Vertrauen gefördert und Missverständnisse minimiert werden. Die Gestaltung von Tempo 30 Zonen, baulichen Maßnahmen oder intuitiven Mensch-Fahrzeug-Schnittstellen hat langfristig nur dann eine tragende Wirkung, wenn sie den Bedürfnissen aller am Verkehr beteiligten Akteure gerecht wird. Die Emotionsforschung zeigt, dass empathische Wahrnehmung und das Einbeziehen sozialer Konventionen von entscheidender Bedeutung sind, um mitunter bestehende Skepsis gegenüber neuen Technologien abzubauen. Die Interaktion zwischen Mensch und autonomem Fahrzeug bedarf also einer ganzheitlichen Perspektive, in der ergonomische, technische, psychologische und soziale Komponenten in einem integrierten Prozess berücksichtigt werden.

Diese integrierte Herangehensweise kann sicherstellen, dass die Verkehrssicherheit nicht nur auf der Ebene theoretischer Konzepte verbessert, sondern in der tatsächlichen Anwendung nachhaltig verankert wird. Eine vorausschauende Forschung, die neben technischen Parametern vor allem psychologische Wirkmechanismen einbezieht, kann sicherstellen, dass urbane Mobilität den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Nur so lassen sich kognitiv zugängliche, emotional stimmige und sozial akzeptierte Verkehrssysteme verwirklichen, die mit der Weiterentwicklung automatisierter Fahrzeuge Schritt halten und den Schutz vulnerabler Verkehrsteilnehmender sichern.

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